Am frühen Abend erhalte ich eine Email von meinem Anwalt aus Indien. Nach indischer Ortszeit muss er diese Email somit gegen 2 Uhr morgens verfasst haben. Ich ziehe meinen Hut vor so viel Arbeitseinsatz und beginne zu lesen:
Hallo Sehr geehrter Thomas Haselmann,
Ich bin Barrister Meenal Kashyap aus Indien. Es ist eine sehr große Ehre, mit Frau Mariya Singh Geschäfte zu machen, und da Sie mit ihr in Verbindung stehen, gehe ich davon aus, dass Sie ein sehr bescheidener und ehrlicher Mensch sein müssen, und ich lobe Sie dafür.
Noch vor wenigen Tagen wäre ich davon ausgegangen, dass sich ein Barrister hauptberuflich mit der Zubereitung von Kaffee-Spezialitäten beschäftigt. Inzwischen weiß ich aber, dass ein Barrister in den Ländern des Commonwealth ein Anwalt oder Notar ist.
Ich bin bereit, die von der Bank geforderten Dokumente vorzubereiten, und ich habe eine Nachricht an Frau Mariya Singh gesendet, und sie hat mir bereits Ihre Daten einschließlich Ihrer Telefonnummer und aller Ihrer persönlichen Daten, die für diese Vorbereitung dieser Dokumente benötigt werden, und i Ich bin mir sicher, dass man Ihnen vertrauen kann, denn ich werde für Sie und Frau Mariya Singh als Ihre persönliche Anwältin hier in Indien einstehen, bis die Gelder an Sie überwiesen sind, um jegliche Behinderung der Transaktion zu vermeiden.
Meine Bedenken, an dieser Stelle die Namen und Adressen der vermeintlich indischen Protagonisten zu veröffentlichen, scheinen unbegründet. Wie ich lese, hat auch Mariya meine Daten bereits weitergeleitet. Vermutlich aber nur, um die Sache zu beschleunigen.
Ich bin bereits dabei, die Erstellung der Dokumente in meiner Anwaltskanzlei vorzubereiten, und ich habe die Bank telefonisch kontaktiert, und der Bankmanager lässt mich verstehen, welche Art von Dokumenten sie benötigen und wie sie es haben möchten kein problem mit den dokumenten, es wird erledigt, sobald sie in der lage sind, die anforderungen für die zu erstellenden dokumente zu erfüllen.
Bevor ich mit der Vorbereitung dieses Dokuments hier in meiner Anwaltskammer beginne, müssen Sie für die Vorbereitung der Dokumente bezahlen, und diese Dokumente sind drei Arten: eidesstattliche Erklärung, Begünstigtenzertifikat, Eidesdokument.
Wie blauäugig war ich nur, als ich dachte, man würde mir das Geld einfach überweisen. Stattdessen bedarf es einer ganzen Reihe von Erklärungen, Dokumenten und Zertifikaten, welche noch zu erstellen sind. Wie froh bin ich, einen kompetenten Anwalt gefunden zu haben, der diese Sachen für mich regelt!
Dieses Dokument wird in kürzester Zeit fertig sein, aber es kostet Sie nur die Summe von (€ 1.460 Euro) und Sie sollten diese Zahlung so schnell wie möglich an meine Kammer senden, um mit der Vorbereitung dieser Dokumente zu beginnen und nachdem das Dokument erstellt wurde Ich werde sie zusammen mit Frau Mariya Singh zur Bank bringen, um auch einen Teil des Dokuments zu unterschreiben, und ich als Anwalt werde auch als Zeuge dieser Transaktion unterschreiben, und ich werde in Ihrem Namen eintreten, bis das Geld vollständig überwiesen ist Sie.
Ich rechne schon seit Tagen damit, dass an irgendeiner Stelle der Geschichte jemand auf mich zukommt und Geld von mir möchte. Und dieser Moment scheint jetzt gekommen zu sein. Auf der anderen Seite: Was sind 1.460 Euro, wenn sie die Grundlage für über 10 Millionen Euro sind? Ich werde ihm einfach vorschlagen, sein Honorar vom Millionenbetrag abzuziehen und mir den Rest zu überweisen. Aber ich komme gar nicht dazu, dem Anwalt diesen Vorschlag zu unterbreiten, denn er schreibt:
Hinweis: Hier in meiner Anwaltskanzlei gibt es Regeln, die wir befolgen, weil wir nichts wollen, was den guten Ruf dieser Kanzlei zerstört, nach Zahlung dieser ( 1.460 Euro ) und der Gelder konnten wir Ihnen nicht überweisen erstatten Ihnen Ihr Geld sofort auf Ihr Bankkonto zurück.
Sie sind für die Dokumentenbearbeitungsgebühr verantwortlich, NICHT Frau Mariya Singh.
Ich benötige Ihre Bestätigung bezüglich dieser E-Mail und schicke Ihnen dann so schnell wie möglich die Anweisungen, um mit der Zahlung fortzufahren.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Meenal Kashyap Associates
Er stellt ganz klar fest, dass ich für seine Gebühren verantwortlich sei. Für mich hingegen fügt sich jetzt alles zu einem Bild zusammen: Die erfundene Geschichte um die sterbenskranke Millionärswitwe Mariya, der Mitarbeiter der Bank, der Anwalt – alles Protagonisten in einer Geschichte, in der es am Ende darum geht, 1.460 Euro zu ergaunern. Der Betrag entspricht ungefähr dem, was ein Inder in 3 bis 4 Monaten verdient.
Der Anwalt hat übrigens keine Signatur in seiner Email. Einzig der Eintrag “Meenal Kashyap Associates” ermöglicht es mir, etwas über die Hintergründe zu erfahren. Tatsächlich scheint es in Delhi eine entsprechende Anwaltskanzlei zu geben. Hinweise darauf finden sich zumindest im Internet. “Mein” Anwalt aber schreibt nicht über die Webseite der Kanzlei, sondern von einer Gmail-Adresse. Es ist also davon auszugehen, dass er nur den Namen einen bestehenden Kanzlei missbraucht.
Wäre nicht genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um den Kontakt nach Indien abzubrechen? Schließlich wird die Sache nur weitergehen, wenn ich den Betrag überweise.
Trotzdem erkenne ich an, dass sich die Protagonisten wirklich Mühe gemacht haben mit ihrer Geschichte. Ich bin hin- und hergerissen: Auf meiner linken Schulter sitzt ein kleiner Engel, der mir sagt, ich solle die Sache hier und jetzt beenden. Und auf der rechten Schulter macht sich der kleine Teufel breit, der mir sagt, ich sei viel zu neugierig und ich solle dafür sorgen, dass die Geschichte hier nicht endet.
Und ich frage mich tatsächlich: Was passiert, wenn ich das Geld tatsächlich überweise?