Es gibt Momente, die das Leben eines Menschen von der einen auf die andere Sekunde verändern. Der unerwartete Tod eines nahestehenden Menschen beispielsweise. Oder wenn bei der Lottoziehung die richtigen sechs Zahlen zu 70er-Jahre-Fahrstuhlmusik aus der monströsen Plexiglasmaschinerie herauspurzeln. Oder wenn das eigene Flugticket wegen Überbuchung storniert wird, der Flieger, in dem man nicht sitzt, dann aber abstürzt. Zugegeben, die letzten beiden Beispiele sind sehr unwahrscheinlich.

Heute hatte ich einen solchen Moment, der zumindest einen neuen, mir bis dato unbekannten Aspekt in mein Leben gelassen hat. Beinahe wäre der sprichwörtliche Kelch an mir vorübergegangen. Schuld daran sind die restriktiven Einstellungen meines Spam-Filters, der mich vor allzu aufdringlichen Emails schützen soll. Aber, warum auch immer, die unten stehende Email hat es in meinen Posteingang geschafft, und schon die Anrede weckt meine Neugierde, appelliert sie doch vehement an meine feminine Seite.

Hallo, meine Liebste,

Die vertraut wirkende Ansprache baut sofort eine intime Nähe zur mir auf und der verwendete Superlativ triggert zudem mein Ego. Ich entschließe mich, auch die weiteren Zeilen zu lesen:

Ich möchte, dass Sie diesen Brief sehr sorgfältig lesen, und ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich Ihnen diese Massage aufgrund der vertraulichen Dringlichkeit dieses Problems ohne formelle Einführung an Ihre E-Mail gesendet habe. Ich bin glücklich dich zu kennen. Aber der Allmächtige Herr kennt Sie besser und weiß, warum er mich an dieser Stelle zu Ihnen geleitet hat. Zunächst sah ich Ihre E-Mail-Adresse und Kontaktdaten bei meiner Online-Suche nach einem guten nächsten Angehörigen, da ich dringend meinen letzten Wunsch in die Tat umsetzen wollte, bevor ich in absehbarer Zeit sterbe.

Ich weiß nicht, an welcher Stelle genau mich der Absender dieser Zeilen gecatcht hat. Zwar irritiert es mich etwas, mal mit “Ihnen”, dann aber wieder mit “dich” angesprochen zu werden, aber vielleicht freue ich mich auch einfach nur, eine vitalisierende Massage per Email bekommen zu haben. Außerdem finde ich es spannend, dass der “Allmächtige Herr” mich wohl ausgewählt hat. Also weiter!

Ich schreibe Ihnen diese Mail mit schweren Tränen in meinen Augen und großer Trauer in meinem Herzen. Mein Name ist Frau Mariya Singh. Ich kontaktiere Sie aus meinem Land Indien. Ich möchte Ihnen dies sagen, weil ich keine andere Wahl habe Um Ihnen zu sagen, als ich berührt war, mich Ihnen zu öffnen, bin ich mit Herrn Peter Singh verheiratet, der neun Jahre lang bei der indischen Botschaft in Madrid, Spanien, gearbeitet hat, bevor er in den letzten zwei Jahren an Covid19 starb. Wir waren elf Jahre ohne Kind verheiratet.

Er starb nach kurzer Krankheit am Coronavirus, die nur zwanzig Tage anhielt. Als mein verstorbener Mann noch lebte, hinterlegte er die Summe von 10.850.000,00 € (zehn Millionen achthundertfünfzigtausend Euro) auf einer Bank hier in Indien. Derzeit ist dieses Geld noch auf der Bank, er hat dieses Geld für den Export von Gold aus dem Bergbau in Madrid, Spanien, vor seinem plötzlichen Tod zur Verfügung gestellt. Kürzlich sagte mir mein Arzt, dass ich aufgrund eines Krebsproblems die Dauer von 3 Monaten nicht durchhalten würde. Am meisten stört mich meine Schlaganfall-Erkrankung. Nachdem ich meinen Zustand gekannt habe, habe ich beschlossen, Ihnen dieses Geld zu übergeben, um sich um die weniger privilegierten Menschen zu kümmern. Sie werden dieses Geld so verwenden, wie ich es hier anweisen werde.

Ich möchte, dass Sie 60 Prozent des Gesamtgeldes für Ihren persönlichen Gebrauch und für Ihren Einsatz und Ihr Engagement für die Wohltätigkeitsprojektarbeit verwenden, während 40 % des Geldes für die Wohltätigkeitsprojektarbeit, für Menschen in Not von der Straße und für die Hilfe verwendet werden Waisenhaus auch, ich bin als Waise aufgewachsen und habe niemanden als mein Familienmitglied. Sorgen Sie auch dafür, dass das Gotteshaus aus den Mitteln unterhalten wird. Ich tue dies, damit Gott meine Sünden vergibt und meine Seele annimmt, weil ich so sehr unter dieser Krankheit gelitten habe. Sobald ich Ihre Antwort erhalten habe, werde ich Ihnen die Kontaktdaten der Bank hier in Indien mitteilen und den Bankmanager anweisen, Ihnen ein Vollmachtsschreiben auszustellen, das Sie als gegenwärtigen Begünstigten des Geldes auf der Bank ausweist Sie versichern mir, dass Sie entsprechend handeln werden, wie ich es hier angegeben habe.

In der Hoffnung, Ihre Antwort zu erhalten, werde ich dann so schnell wie möglich mit Ihnen zur Bank gehen, um das Geld auf Ihr Bankkonto zu überweisen, das heißt, wenn Sie ernsthaft genug sind, das Projekt zu handhaben, und sich auch dafür einsetzen, weil ich glaube kann dir ehrlich vertrauen.

Hochachtungsvoll.

Von Frau Mariya Singh

Keine Frage, das ist Spam! Ich amüsiere mich über die krude Geschichte und klicke auf “In den Spam-Ordner verschieben”. Die Email verschwindet aus dem Posteingang.

Am Abend aber liege ich im Bett und stelle mir die Frage: Was passiert eigentlich, wenn man auf eine solche Email antwortet?

Ich finde die Frage spannend! Morgen werde ich Frau Singh antworten, nehme ich mir fest vor. Immerhin hat sie ihr Herz vor mir ausgeschüttet und wendet sich als todkranke Frau mit ihrem vielleicht letzten Wunsch an mich.

Morgen werde ich ihr antworten!